Borderline und Hochbegabung

Nach den Erfahrungen im Tutorium Berlin wird durch Psychologen, die wenig oder keine Erfahrung im Bereich Hochbegabung haben, für Hochbegabte oft die Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und behandelt.

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird durch die American Psychiatric Association wie folgt definiert:

Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter bzw. in der Pubertät und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

  1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
  2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
  3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
  4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Essstörungen"). Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
  5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
  6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
  7. Chronische Gefühle von Leere.
  8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
  9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Merkmale der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind u.a. Ängste. Betroffene leiden allgemein unter stark ausgeprägten Ängsten, die sich auf jeden Inhalt beziehen können. Die Ängste sind nicht immer durchgängig vorhanden. 

  • Borderline-Betroffene haben Angst vor Nähe und Fremdüberwältigung. Diese Angst kann sowohl in bewusster Form wie auch unbewusst bestehen - paradoxer Weise parallel zur Angst vor dem Alleinsein (siehe Unten). Als "Angst vor einem phantasierten Verschlungenwerden" bezeichnet Sven Hoffman (2001) eine prinzipiell ähnliche Angstform, die sich genauso auf Fremdüberwältigung bezieht. Sie ist aber an einen stärkeren Realitätsverlust gekoppelt. Betroffene befürchten, durch ein magisches Erlebnis ausgelöscht zu werden. Die empfundene Nähe wird hier als sehr intensiv erlebt und scheint, die eigene Struktur zu bedrohen.
  • Die Angst vor dem Alleinsein dreht sich um Beziehungsverlust. Sie beinhaltet zwei Komponenten: Angst vor Verlust eines sozialen Objekts und Angst vor Verlust der Liebe des Objekts. Diese Ängste ergeben sich aus Wünschen nach übergroßer Nähe in sozialen Beziehungen; so genannten Verschmelzungswünschen. Zudem setzen Betroffene unbewusst Alleinsein gleich mit Verlassen sein.
  • Die Angst vor Selbstverlust ist wegen des missverständlichen Begriffes nicht mit Todesangst zu verwechseln. Bei dieser Angst befürchten Borderliner, ihre eigene Persönlichkeit, ihre Identität und im weiteren Sinne sich selbst zu verlieren.
  • Die Angst vor sich selbst ergibt sich aus Befürchtungen, die Kontrolle zu verlieren über die eigenen Phantasien, Bedürfnisse oder problematischen Gefühle. Das würde zum Beispiel dazu führen, dass jemand von der eigenen Wut überwältigt wird, dass jemand bestimmte Phantasien nicht mehr von der Realität unterscheiden kann oder dass jemand zwanghaft einem Impuls nachgeben muss.
  • Angst vor struktureller Regression ist eine bewusste oder unbewusste Angst davor, den erreichten Ich-Status wieder zu verlieren, zum Beispiel davor dass der Stand der eigenen Leistungen und/oder die Leistungsfähigkeit nicht gehalten werden kann. Hier besteht ein Zusammenhang damit, dass BPS-Betroffene partiell enorm leistungsfähige Menschen sind, aber trotzdem schwere Belastungen haben. Dadurch sind sie häufig mit Scheitern konfrontiert, sowohl beruflich wie auch im Privatleben. Diese Angstform wird als Folge der "spezifischen Ich-Schwäche" (bzw. der "Brüchigkeit des Ich") gesehen.

Die Erfahrungen im Tutorium Berlin bestätigen zwar, dass einige Hochbegabte Verhaltensweisen und Merkmale zeigen, die Borderline-Symptomen stark ähneln, die aber bei vorausgesetzter Hochbegabung anders und eindeutig erklärbar sind.